Lobbyismus in der EU

Edmund Stoiber als Tabaklobbyist? EU-Kommission muss Klarheit schaffen

Edmund Stoiber soll seine Funktion als Vorsitzender einer EU-Expertengruppe genutzt haben, um in Brüssel die Interessen eines bayerischenSchnupftabakherstellers einzubringen. Konkret soll Stoiber bei einem Treffen zwischen der „Gruppe hochrangiger Repräsentanten zum Bürokratieabbau“ und dem inzwischen zurückgetretenen Gesundheitskommissar John Dalli am 3. Mai 2012 versucht haben, auf die geplante EU-Tabakrichtlinie Einfluss zu nehmen. Wir fordern Aufklärung von der EU-Kommission.
von 12. Dezember 2012

Laut Bericht des Onlinepresseportals EurActive soll Edmund Stoiber seine Funktion als Vorsitzender einer EU-Expertengruppe genutzt haben, um in Brüssel die Interessen eines bayerischenSchnupftabakherstellers einzubringen. Konkret soll Stoiber bei einem Treffen zwischen der „Gruppe hochrangiger Repräsentanten zum Bürokratieabbau“ und dem inzwischen zurückgetretenen Gesundheitskommissar John Dalli am 3. Mai 2012 versucht haben, auf die geplante EU-Tabakrichtlinie Einfluss zu nehmen. LobbyControl hat gemeinsam mit anderen Nichtregierungsorganisationen einen Brief mit der Forderung nach Aufklärung des Falls an die EU-Kommission gesendet.

Eigentlich ist es die Aufgabe der Expertengruppe, die EU-Kommission bei der Umsetzung eines Aktionsprogramms zum Bürokratieabbau zu unterstützen. Um die Verwaltungslast der EU zu reduzieren, untersucht die 2008 gegründete Expertengruppe daher vornehmlich existierende EU-Regelungen. Nach Angaben der EU-Kommission ließen sich so jährlich bis zu 40 Milliarden Euro einsparen. Mit diesen Zahlen und dem Lob hochrangiger EU-Politiker im Rücken, wurde das Mandat der Expertengruppe soeben offiziell bis 2014 verlängert. Der Bericht von EurActive wirft nun jedoch ein anderes Licht auf die Aktivitäten der Gruppe.

Lobbyismus unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus?

Bei dem Treffen zwischen Dalli und den Bürokratieabbau-Experten wurde offiziell über Bürokratie in der Gesundheitspolitik gesprochen. Ein Pressesprecher der Kommission hat jedoch inzwischen bestätigt, dass Stoiber darüber hinaus eine Beschwerde zur Sprache brachte, die er von einem bisher unbekannten bayerischen Schnupftabakhersteller erhalten hatte. Darin soll sich das Unternehmen über die geplante Tabakproduktrichtlinie beschwert haben. Diese ist bereits seit geraumer Zeit in Arbeit. Die Tabaklobby hatte bereits in der Vergangenheit gegen einzelne Regulierungsvorschläge intensiv Lobbyarbeit betrieben. Vor zwei Wochen musste schließlich der Gesundheitskommissar sein Amt aufgeben, weil er eines massiven Lobbyskandals in der Entstehung der Richtinie verdächtigt wird, Wir hatten darüber berichtet. Die Tabakrichtlinie liegt damit zunächst auf Eis.

Laut EurActive folgte auf Stoibers Intervention ein 15-minütiges Gespräch, welches aber nicht in den Protokollen der Sitzung vermerkt wurde. Diese werden im Anschluss auf der Internetseite der Europäischen Kommission veröffentlicht, um Einsicht in die Arbeit der Expertengruppen zu gewähren. In der darauf folgenden Woche leitete Stoiber den Brief des Herstellers – der trotz unserer Anfrage im Rahmen der EU-Informationsfreiheitsgesetzes bisher nicht vorliegt – an Dalli weiter. Laut eines Sprechers der der EU-Kommission antwortete Dalli Stoiber am 28. Juni und erteilte dem Anliegen eine Absage – Grund zur Beunruhigung bleibt dennoch bestehen.

Aufgabe der hochrangigen Gruppe zum Bürokratieabbau ist laut ihrem Eintrag im Expertengruppenregister, die Kommission dabei zu beraten, wie bürokratische Hürden bei bereits existierenden Verordnungen und Richtlinien zu vermindern sind. Es geht also nicht um Vorschriften, die sich aktuell in der politischen Debatte befinden. Das würde nämlich heißen, die Mitglieder der Expertengruppe könnten sich beliebige Politikinhalte aussuchen, die ihnen nicht gefallen, und sie wegen zu hoher „bürokratischer Hürden“ bekämpfen. So soll das Mandat der Gruppe nicht aussehen – Stoiber, ihr Vorsitzender, hat aber mit seiner Intervention für die Schnupftabaklobby genau diesen Weg beschritten. Und damit seine Rolle missbraucht.

Expertengruppe als Einfallstor für Lobbyisten

Es ist nicht das erste Mal, dass die zum Bürokratieabbau eingesetzte Gruppe ihr Mandat überschritten hat. Bereits im April 2012 hatte der Europäische Verbraucherverband BEUC EU-Kommissionspräsident Barroso einen Brief geschrieben, in dem der Verband beklagte, die Gruppe überschreite bei weitem ihren ursprünglichen Aufgabenbereich. Sie betrachte erst kürzlich verabschiedete Gesetze, während die Kommission sich noch mit Betroffenen und Problemen bei der Umsetzung auseinandersetze. Wie wir sieht auch BEUC die reale Gefahr, dass die Expertengruppe zu einem Magneten für Lobbyisten wird, die mit einer Gesetzgebung nicht einverstanden sind und sie unter dem Vorwand des Bürokratieabbaus wieder loswerden wollen.

Durch die Weiterleitung von Beschwerdebriefen kann die Gruppe als verlängertes Sprachrohr eines Wirtschaftszweiges und als Türöffner zu EU-Entscheidungsträgern dienen. Zudem lassen sich Gesetzesregelungen in der Frühphase ihrer Entwicklung noch merklich beeinflussen. Daher ist ein privilegierter Zugang zu jenem Zeitpunkt von enormem Wert. Unter dem Deckmantel der Bekämpfung „bürokratische Hürden“ lassen sich Partikularinteressen hervorragend präsentieren. So können etwa auch strengere Umweltauflagen als „bürokratische Hürden“ dargestellt werden.

Jim Murray, ehemaliger Generalsekretär von BEUC und Mitglied der Expertengruppe, sprach sich gegen die Lobbyaktivitäten Stoibers aus. Es sei nicht die Aufgabe der Gruppe, sich mit aktuellen Gesetzesentwürfe auseinander zu setzen, teilte er EurActive mit. Seiner Einschätzung nach sollten Mitglieder keinen privilegierten Zugang zu EU-Kommissaren haben, um Vorschläge hinter verschlossenen Türen zu besprechen. Eine Pressesprecherin des Europäischen Gewerkschaftsbundes (ETUC) gab sich ebenfalls kritisch. Gegenüber EurActive äußerte sie Bedenken, die Expertengruppe habe sich bereits des öfteren in aktuelle Gesetzesentwürfe eingemischt und Ihr Mandat somit verfehlt.

Wenn sich Stoiber also Dalli gegenüber für bayerischen Schnupftabak einsetzt, fällt das außerhalb seines Aufgabenbereiches als Vorsitzender der Expertengruppe. Gleichzeitig decken sich die Vorwürfe gegenüber Stoiber mit der Einschätzung Roland Bergers, ebenfalls Mitglied der Expertengruppe zum Bürokratieabbau. Bereits 2010 berichtete dieser, vollen Lobes für seinen „Chef“, er kenne kaum einen deutschen Politiker, der international so schnell Türen öffnen könne.

LobbyControl fordert Aufklärung

Aufgrund der Berichterstattung hat LobbyControl zusammen mit dem europäischen Transparenznetzwerk Alliance for Lobbying Transparency and Ethics Regulation in the EU (ALTER-EU) einen Brief an Barosso gesendet. Darin fordern wir:

  • die berichteten Ereignisse zu überprüfen und alle Fakten dazu zu veröffentlichen. Wir wollen wissen, was konkret zwischen Stoiber und Dalli besprochen wurde und fordern auch die Veröffentlichung des zugehörigen Schriftwechsels,
  • im Falle einer Übertretung seines Mandats durch Edmund Stoiber muss die Kommission entsprechende Maßnahmen ergreifen damit dies nicht wieder vorkommt,
  • dafür Sorge zu tragen, dass die Expertengruppe nicht als Instrument für Lobbyarbeit missbraucht wird.

Auch an Stoiber haben wir geschrieben, leider hat er keine Stellung zu unserem Schreiben genommen.

EU-Abgeordnete sorgen sich um Ausgewogenheit der Expertengruppe

Sorgen machen sich offenbar auch Teile des Europäischen Parlaments: Fünf Abgeordnete mehrerer Fraktionen haben Barroso ebenfalls einen Brief geschrieben, der die Stoiber-Gruppe betrifft. Darin wollen sie unter anderem wissen, ob Barroso mit dem neuen Mandat die Zusammensetzung der Gruppe ändern wird, um eine ausgewogene Besetzung sicherzustellen; ob die zukünftigen Mitglieder sorgfältig auf ihre Interessenkonflikte überprüft werden – vor allem die, die aus der Industrie kommen und dennoch als „neutrale Expert/innen“ am Tisch sitzen sollen; und schließlich, wie die Kommission dafür Sorge trägt, dass der Ratschlag der Entbürokratisierer/innen sich nicht gegen aktuelle Umwelt-, Gesundheits-, Sicherheits- oder Sozialstandards richtet?

Foto von Christian „VisualBeo“ Horvatt, Lizenz: CC BY-SA 3.0

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