Aus der Lobbywelt

Expertenräte in der Coronakrise

Expertengremien, die die Politik beraten, sollten ausgewogen und mit angemessener Bandbreite besetzt sein. Armin Laschets „Expertenrat Corona“ in NRW ist ein Negativbeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Doch auch bei der Corona-Arbeitsgruppe der Nationalakademie Leopoldina gibt es Anlass zur Kritik.
von 23. April 2020

In der Coronakrise muss die Politik häufig schnell handeln, zugleich sind die Folgen ihrer Entscheidungen oft gravierender und zugleich schwerer kalkulierbar als sonst. Unter diesen Bedingungen ist es besonders wichtig, dass Entscheidungs:trägerinnen auf Ausgewogenheit achten und die Zivilgesellschaft umfassend beteiligen. Diese Forderung richteten wir Anfang April an die Politik, in unseren „Drei Punkten zur Stärkung der Demokratie“ in der Coronakrise.

Negativ-Beispiel: der NRW Corona-Rat

Olaf Kosinsky - CC-BY-SA 3.0
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU)

Leider werden diese Kriterien nicht immer beachtet. Ein Negativ-Beispiel ist der von der NRW-Landesregierung eingesetzte Corona-Expertenrat. Dessen unausgewogene Zusammensetzung kritisierten wir bereits letzte Woche in einer Pressemitteilung.

In der zwölfköpfigen Expert:innenrunde sind die Interessen von Unternehmen und Arbeitgebern gleich mehrfach vertreten, während die Arbeitnehmerseite überhaupt nicht eingebunden wurde. In dem Rat gibt es auch niemanden mit spezieller Expertise in Sachen Umwelt und Klima.

Gleich zwei Großunternehmen sind im Rat präsent: die Deutsche Telekom, vertreten durch IT-Vorständin Claudia Nemat, sowie der schwäbische Maschinenbauer Trumpf, vertreten durch Nicola Leibinger-Kammüller als Miteigentümerin und CEO des Unternehmens. Noch mehr Arbeitgeber-Perspektive kommt durch Michael Hüther hinzu, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), das vom Bundesverband der Deutschen Arbeitgeber (BDA) und dem Bund der Deutschen Industrie (BDI) getragen wird. Auch der zweite Ökonom in der Runde, Christoph M. Schmidt, steht einem wirtschaftsnahen Institut vor, dem RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.

Die Trumpf-Erbin Leibinger-Kammüller, deren Privatvermögen von Forbes auf 1,4 Milliarden Dollar geschätzt wird, engagiert sich sonst bei der Lobbyorganisation „Stiftung Familienunternehmen“, die gegen Erbschafts- und Vermögensteuer zu Felde zieht, sowie in der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung, die sich gegen Eingriffe der Politik in die freie Marktwirtschaft ausspricht. In beiden genannten Organisationen ist mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Udo di Fabio auch noch ein weiteres Mitglied der Expertenrunde aktiv.

Einseitige Besetzung, einseitige Empfehlungen

Die unausgewogene Besetzung schlägt auf die Empfehlungen des Rates durch. Vergleichsweise ausführlich wird auf die wirtschaftlichen Folgen der Krise eingegangen. Die Belange von Arbeitnehmer:innen, auch der gerade besonders belasteten Berufsgruppen etwa in der Pflege oder im Einzelhandel, werden hier allerdings nicht erwähnt. Stattdessen stehen Ziele im Vordergrund, die aus Unternehmens- und Arbeitgeberperspektive wichtig sind: Wertschöpfungsketten sichern, gegen ausländische Übernahmen schützen, Steuern senken, Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen.  Das Thema Klimaschutz fehlt in dem Papier völlig – obwohl die Klimakrise keineswegs Pause macht und klar ist, dass dies ein wichtiger Aspekt der Krisenbewältigung ist.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Berücksichtigung unternehmerischer Interessen ist durchaus legitim – aber es fehlen andere, mindestens ebenso wichtige Gesichtspunkte. Eine tragfähige Gesamtstrategie zum Umgang mit der Krise lässt sich mit eine derart verengten Perspektive nicht finden.

Großspenderin im Rat

Die Präsenz von Nicola Leibinger-Kammüller im Rat ist noch aus einem anderen Grund brisant. Die Firma Trumpf und die Familie Leibinger sind langjährige Großspender der NRW-Regierungsparteien CDU und FPD. Von 2000 bis 2017 flossen über 1,1 Millionen Euro von der Firma und ihren Eignern an die beiden Parteien.

Dass NRWs schwarz-gelbe Regierung ausgerechnet eine langjährige Großspenderin in den Krisenrat holt, ist politisch zumindest ungeschickt. Es signalisiert, dass die Gewährung von Einflusschancen von anderen Kriterien abhängen könnte als von fachlicher Kompetenz oder repräsentativer Befugnis. An Glaubwürdigkeit gewinnt man als Regierung so nicht.

Der Rat empfiehlt der Landesregierung in seinem Papier, offen und transparent zu kommunizieren, um Vertrauen zu festigen. Maß und Mitte sei „in diesen Zeiten einmal mehr entscheidend, um Polarisierungen und ‚das Ausspielen‘ von Wirtschaft und Gesundheit“ zu vermeiden. Mit der unausgewogenen Besetzung des Rates selbst wird dieses Ziel allerdings schon unterlaufen.

Leopoldina: Zwei neoliberale Ökonomen, eine Meinung

Schlagseite offenbarte in der vergangenen Woche noch eine andere Expertenrunde. Die Nationalakademie Leopoldina hatte eine hochrangig besetzte Arbeitsgruppe mit vielen Expert:innen aus unterschiedlichen Bereichen eingesetzt, um Empfehlungen für die Bundesregierung zu erarbeiten. Der Arbeitsgruppe gehören zwei Ökonomen an – und beide vertreten innerhalb der Wirtschaftswissenschaften dieselbe Strömung. Lars Feld leitet das Walter Eucken Institut an der Universität Freiburg, das für die ordoliberale Perspektive der Freiburger Schule steht. Clemens Fuest, der Präsident des Münchner ifo-Instituts, ist gemeinsam mit Lars Feld Mitglied des Kronberger Kreises der Stiftung Marktwirtschaft, der eine neoliberale Wirtschaftspolitik vertritt. Darüber hinaus ist Fuest Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der oben erwähnten „Stiftung Familienunternehmen“.

Entsprechend fielen die Empfehlungen der Leopoldina-Arbeitsgruppe im wirtschaftspolitischen Bereich aus: Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Spitzenverdiener und Kapitaleigner sowie ein schneller Schuldenabbau. Das entspricht marktliberalen Forderungen. Wenig verwunderlich, wenn konkurrierende wirtschaftswissenschaftliche Schulen außen vor bleiben.

Mit Expertenzirkeln allein kommen wir nicht aus der Krise

So unverzichtbar die Beratung der Politik durch die Wissenschaft ist: Wenn wirtschafts- und gesellschaftspolitische Schlussfolgerungen gezogen werden, gilt es verschiedene Perspektiven einzubeziehen. Bei der Besetzung von Expertenrunden sollte die Politik deutlich stärker auf Vielfalt und Balance achten.

Insgesamt brauchen wir eine deutlich offenere und breitere Diskussion, Expertise aus vielen verschiedenen Bereichen und Perspektiven, um demokratisch zu bestimmen, welchen Kurs unsere Gesellschaft nimmt. Das gilt gerade auch in einer Zeit großer Umbrüche und Herausforderungen wie jetzt. Kleine, exklusive Expertenzirkel sind dafür nicht immer und unbedingt das beste Mittel. Hier ist die Politik gefragt, innovative und transparente Formate der Beteiligung von Bürger:innen und Interessengruppen aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft zu entwickeln.

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