Handelspolitik

TTIP 2.0: Standards, Zölle, GMOs – Was verhandeln EU und USA wirklich?

Ein umfassendes Handelsabkommen zwischen EU und USA schienen vom Tisch. Doch seit Mitte 2018 reden die Parteien wieder miteinander. Anfangs ging es nur um Industriezölle und bestimmte Zulassungsverfahren. Aber aktuelle Äußerungen der Kommission lassen alte Befürchtungen hochkommen: Wird hier heimlich über TTIP 2.0 verhandelt?
von 20. Februar 2020

Die Pläne für ein umfassendes Handelsabkommen zwischen EU und USA schienen vom Tisch. Doch seit Mitte 2018 wird wieder verhandelt, offiziell nur über Zölle und bestimmte Zulassungsverfahren. Jetzt werden Befürchtungen laut: Wird hier im Geheimen "TTIP 2.0" ausgeheckt? Wir wollen das verhindern und richten gemeinsam mit über einhundert Organisationen einen Appell an europäische Abgeordnete und Regierungen.

Das Weiße Haus - Public Domain
Jean-Claude Juncker und Donald Trump bei einem Treffen der G20

Als Donald Trump im November 2016 ins Amt des US-Präsidenten gewählt wurde, machte sich in Europa eine Mischung aus Unsicherheit und Sorge breit: Welche Folgen würde die Wahl auf den eigenen Kontinent tragen? Wie umgehen mit einem Staatsoberhaupt, das die bisherigen US-Positionen zu Multilateralismus, internationalen Organisationen und Handelspartnern radikal infrage stellte? All dies ist für die EU mit ihrer exportorientierten Wirtschaft überlebensnotwendig.

Vor allem den Beamtinnen und Beamten im Referat E1 der „DG Trade“ („Generaldirektion Handel“) dürfte der anstehende Politikwechsel Kopfzerbrechen und schlaflose Nächte bereitet haben. Denn diese Verwaltungseinheit hatte die EU-Handelskommission mit einer wichtigen Aufgabe betraut: Sie sollten die Verhandlungen mit den USA über eine „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ - kurz „TTIP“ - zu einem erfolgreichen Ende bringen.

Flaute in den transatlantischen Handelsbeziehungen

Schon vor Trump war dies keine geringe Herausforderung gewesen. Die Inhalte von „TTIP“ lösten nach Bekanntwerden einen Sturm der Kritik aus, mit dem die Kommission nicht gerechnet hatte. Verbraucher- und Umweltorganisationen waren empört. Zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft sahen Standards und Vorsorgeprinzip in Gefahr. Selbst Demokratieabbau durch „regulatorische Kooperation“ und Sonderklagerechte für Investoren wurden befürchtet. Mit Amtsantritt Trumps wurden die Pläne vorerst auf Eis gelegt, und Frustration über die immer schlechteren transatlantischen Beziehungen machte sich breit.

Doch der Wind drehte sich rasch. Die USA unter Trump bieten der EU den perfekten Strohmann, um sich selbst im Kontrast als oberste Verfechterin einer „wertebasierten Handelsordnung“ zu positionieren. Seither hat sie umfassende Abkommen mit Südkorea und Japan abgeschlossen, ähnliche Verträge mit Vietnam und Singapur warten auf die Ratifizierung. Und CETA findet in Teilen bereits Anwendung, obwohl derzeit völlig unklar ist, ob das umstrittene Handelsabkommen mit Kanada den komplizierten Ratifizierungsprozess in den Mitgliedsstaaten überleben wird.

Erste Treffen und vorläufige Entspannung

Letztlich ist auch Trump klar, dass Freihandel – oder das, was EU und USA darunter verstehen – die notwendige Voraussetzung für den Bestand der US-Wirtschaft ist. Im Juli 2018, als die Tarifstreitigkeitenn zwischen EU und USA sich immer weiter zuspitzten, kam es zum Treffen zwischen Trump und dem damaligen Kommissionschef Juncker, das die Lage deeskalieren sollte. Die beiden verabschiedeten ein „Joint Statement“, eine gemeinsame Erklärung, die wenig konkrete Zusagen enthielt, aber viel Raum für Interpretation ließ: Man wolle die „strategische Zusammenarbeit stärken“, einen „engen Dialog über Standards einleiten“, auf die Beseitigung von Zöllen „hinarbeiten“.

Die Kommission verlor keine Zeit. Bereits ein halbes Jahr später legte sie Mandatsentwürfe für zwei Handelsverträge mit den USA vor, denen kurz darauf der Rat seinen Segen erteilte. Das eine soll den Abbau von Zöllen auf Industrieprodukte regeln, das andere Fragen der Zusammenarbeit von Produktzulassungen. Der Rahmen für Verhandlungen schien damit eng gesteckt und weit entfernt von den „weitreichenden und umfassenden Geltungsbereich der typischen moderner EU-Handelsverträge“. So versichert es die Kommission, die unbedingt den Eindruck vermeiden will, hier werde ein neues TTIP 2.0 ausgehandelt.

USA erhöhen den Druck auf EU-Standards

Dabei ist es kein Geheimnis, welche Veränderungen die USA von einem Handelsabkommen mit der EU erwarten: Weg mit dem Handelsdefizit, her mit vertraglich garantierten Vorteilen für US-Farmer, Stahl- und Gasindustrie beim Zugang auf den EU-Binnenmarkt. Auch bestimmte Standards sollen fallen, Befürworter bezeichnen diesen Vorgang als „Beseitigung nicht-tarifärer Handelshemmnisse“. Das Verbot von genmanipulierten Organismen in menschlicher Nahrung ist zum Beispiel so ein „Handelshemmnis“.

Die Forderungen der USA nach Zulassung von Genmais oder hormonbehandeltem Rindfleisch nichts Neues. US-Handelspolitiker*innen und Konzernlobbys fahren seit Jahrzehnten Angriffe auf das europäische Vorsorgeprinzip, dem sie die Idee einer „wissenschaftsbasierten Risiskoabwägung“ gegenüberstellen, das ganz der Maxime „Nachsorge besser als Vorsorge“ folgen soll.

Jetzt doch TTIP 2.0?

Nein, neu ist, dass die EU nun bereit zu sein scheint, dem Druck nachzugeben. bestehende Schutz-Regulierungen aufzuweichen. So erklärte Handelskommissar Hogan jüngst, im Bereich Landwirtschaft gäbe es „eine lange Liste an regulatorischen Hindernissen“, die ein Abkommen „beseitigen“ könne. Das könnte die Erlaubnis von neuen Gentechnik-Verfahren umfassen, aber auch die erlaubte Menge von Pestizidrückständen oder die Zulassung von bestimmten Chemikalien in der industriellen Fleischerzeugung.

Europäisches Parlament - CC-BY 4.0
EU-Handelskommissar Phil Hogan CC-BY-4.0: © European Union 2019 – Source: EP

Über die wahren Absichten und Aktivitäten der Kommission herrscht derzeit weitgehend Unklarheit. Berichte über einzelne Verhandlungsrunden gibt es nicht und die wenigen vorhandenen Materialien sind mehr Werbe- als umfassendes Informationsmaterial. Unsere Befürchtung: Nicht nur verletzt die Kommission selbstgesteckte Transparenzanforderungen und überstrapaziert die Grenzen ihres Mandats. Was sich da unterhalb des Blicks der Öffentlichkeit vollzieht, könnte sensibelste Bereiche treffen und genau dieselben Regeln aushebeln, die schon durch TTIP gefährdet waren.

Wir fordern: "Kein TTIP durch die Hintertür!"

Wir dürfen dabei nicht zusehen. Unsere Appelle an die Kommission sind ungehört verhallt, allen Beteuerungen über starke Zusammenarbeit mit der europäischen Zivilgesellschaft zum Trotz. Deshalb schalten wir jetzt einen Gang hoch: Mit über einhundert NGOs aus ganz Europa veröffentlichen wir heute ein Statement an die Adresse der gewählten Abgeordneten im europäischen Parlament und in den Parlamenten der Mitgliedsstaaten, an alle Regierungen und ihre Vertretung durch den Rat. Unsere Forderung ist simpel: Sorgen Sie dafür, dass die Kommission ihre Arbeit auf transparente und regelkonforme Weise macht. Lassen Sie nicht zu, dass sie unter dem Radar der Öffentlichkeit wichtige Standards für Umwelt- und Verbraucherschutz preisgibt.

Der Widerstand gegen Handelspolitik allein im Sinne der Konzerne ist wach und lebendig. Was für TTIP galt, gilt auch heute noch: Kein Ausverkauf unserer Regeln und Standards, kein Ausverkauf der Demokratie, Handel für alle – und nicht nur für Konzerne!

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