Lobbyismus und Klima

Dieseldebatte: Ein Lungenarzt-Aufruf mit Verbindungen zur Autoindustrie

Ein Lungenarzt aus dem Sauerland stellte die Debatte über die Gesundheitsschäden durch Dieselabgase auf den Kopf und wird zum Medienstar. Die Schlagzeilen machten uns stutzig und ließen uns nachforschen. Am Ende fanden wir heraus: An dem Aufruf schrieben zwei Forscher mit Verbindungen zur Autoindustrie mit.
von 1. Februar 2019

„Alles Lüge um den Diesel-Feinstaub“ titelte die „Bild“-Zeitung Anfang Januar. Ein Lungenarzt aus dem Sauerland stellte die Debatte über die Gesundheitsschäden durch Dieselabgase auf den Kopf. Keine Beweise, maßlos übertrieben, stimmt alles gar nicht – mit diesen Thesen tingelte der Professor durch die Medien. Die Schlagzeilen machten uns stutzig und ließen uns nachforschen. Am Ende fanden wir heraus: An dem Aufruf schrieben zwei Forscher mit Verbindungen zur Autoindustrie mit. Das ist keine banale Zusatzinformation, weil der Aufruf mit der entsprechenden Kennzeichnung sicherlich eine andere Wirkung gehabt hätte.

Nebelkerzen in der Stickoxid-Debatte

Autoabgase: Dicke Luft in den Städten Foto: Gabi Ender/pixelio von Gabi Ender/pixelio Public Domain

„Endlich sagt jemand die Wahrheit“ oder „Diesel ist gar nicht so schlimm“, dachten wohl viele. Auch Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sprang auf und stellte die Schadstoff-Grenzwerte in Frage. Nachdem sich die erste Aufregung um die „Ärzte-Revolte“ gelegt hatte, war bald klar, dass es sich um Nebelkerzen handelte. Es gab deutlichen Widerspruch aus der Wissenschaft, die Köhler fehlendes Fachwissen vorwarfen.

Für uns kam noch ein weiterer Aspekt hinzu. Wir fragten uns: Handelt es sich bei der Initiative wirklich um das Werk eines einzelnen pensionierten Lungenarztes? Nein, war nach einigem genauen Hinschauen unsere klare Antwort. Der Aufruf hat gleich vier Initiatoren. Zwei der Initiatoren – Dieter Köhler und Martin Hetzel – sind Lungenärtze, verfügen aber nicht über einschlägige Fachkenntnis auf dem Gebiet der Stickoxid-Forschung. Zu diesem Thema haben sie keinen einzigen Artikel veröffentlicht, der einem Gutachterverfahren unterzogen wurde („peer reviewed“) – letzteres ist ein wissenschaftlicher Mindeststandard.

Ein Ex-Daimler-Mitarbeiter schrieb mit

Noch interessanter sind die beiden anderen Autoren des Aufrufs. Matthias Klingner und Thomas Koch sind beides keine Lungenärzte, sie sind noch nicht einmal Mediziner. Beide arbeiten in Forschungsinstituten, die eng mit der Autoindustrie verbunden sind. Koch ist Forscher am Karlsruher Institut für Technologie und hat zuvor zehn Jahre bei Daimler in der Motorenentwicklung gearbeitet. Matthias Klingner ist Institutsleiter am Dresdner Fraunhofer Institut und forscht dort zu Verkehrs- und Infrastruktursystemen. Beide Institute sind über Forschungsprojekte mit der Autoindustrie verbunden. Das heißt: Sowohl Koch als auch Klingner bewegen sich in einem Umfeld mit einer gewissen Nähe zur Autoindustrie.

Das ist wichtig zu wissen. Denn ein Aufruf zu Dieselabgasen, der von zwei Verkehrs- und Motorenforschern mit Verbindungen zur Autoindustrie mitgeschrieben wurde, hätte sicherlich kein so großes mediales Echo erfahren wie der Aufruf eines einzelnen Lungenarztes. „Ex-Daimler-Mitarbeiter zweifelt Schädlichkeit von Dieselabgasen an“ – das klingt weniger glaubwürdig, als wenn dies ein Lungenarzt sagt. Doch genau diese Mitautorenschaft wurde in den Medien zunächst gar nicht – und später erst aufgrund unserer Intervention – teilweise erwähnt. Das lag auch daran, dass die Autorenschaft nur schwer zu finden war.

Versteckte Autorenschaft

Im Internet wurde die Stellungnahme auf der Webseite „lungenaerzte-im-netz“ veröffentlicht, die gemeinsam von drei lungenärztlichen Verbänden herausgegeben wird. Sie wird dort vorgestellt als eine Antwort auf eine Publikation der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP), in der der Verband noch im November 2018 eindringlich vor den Gefahren durch Dieselabgase gewarnt hatte und für eine Verschärfung der Grenzwerte plädiert hatte.

Im Webseiten-Artikel zu der Stellungnahme werden die vier Autoren benannt – allerdings nur mit ihren Nachnamen, also weder mit ihrem vollen Namen noch mit ihren Funktionen. Auf der dort verlinkten Stellungnahme wiederum ist nur Dieter Köhler als „Korrespondenzadresse“ angegeben, die Autoren des Papiers sind nicht benannt. Das wirkt seltsam – sollte hier die Autorenschaft versteckt und gleichzeitig suggeriert werden, das Papier stamme nur von Köhler? Wir haben die Gesellschaft für Pneumologie gebeten, sich dafür einzusetzen, dass die Autorenschaft auf der Webseite klarer gekennzeichnet wird.

Screenshot „lungenaerzte-im-netz“: Hier sind die vier Autoren benannt, auf der dort verlinkten Stellungnahme fehlt der Hinweis. von Screenshot www.lungenaerzte-im-netz.de

Aufrufe von Wissenschaftlern: Ein beliebtes Lobbyinstrument

Aufrufe von Wissenschaftlern sind uns aus anderen Zusammenhängen bekannt. Ähnlich wie um den Diesel gab es um das Rauchen jahrelang hitzige Debatten, beim Klimawandel hält die Diskussion noch immer an. Immer wieder tauchen einzelne Experten auf, die Gefahren leugnen oder verharmlosen. Mittlerweile wissen wir: Tabak- und Erdöl-Konzerne finanzierten „Kronzeugen“ aus der Wissenschaft, um wissenschaftliche Fakten gezielt anzuzweifeln und so Gesetze und Regeln zu erschweren. Auch die deutsche Autoindustrie finanzierte über Jahre ein eigenes Forschungsinstitut, um die Schädlichkeit des Diesels in Frage zu stellen – bis es 2018 durch die Affäre um Affenexperimente mit Diesel-Abgasen zu Fall kam.

Gerade deshalb lohnt es sich auch hier genau hinzuschauen: Verbindungen klar zu benennen, Kompetenzen und wissenschaftliche Mindeststandards kritisch zu überprüfen. Das blieb in der ersten Reaktionen aus, sowohl in der Berichterstattung als auch in manch schnellen politischen Reaktionen. Damit ist der Schaden nun angerichtet. Die großen Schlagzeilen werden im Gedächtnis bleiben, der Zweifel ist gesät. Und Verkehrsminister Scheuer scheut sich nicht, die Sache für ein Ablenkungsmanöver in der Diesel-Debatte zu nutzen. Er ignoriert die Hintergründe, bezieht sich weiter auf die Lungenärzte und erwägt nun eine Aufweichung der Abgas-Grenzwerte statt Hardware-Nachrüstungen einzufordern. Das ist ein gefährlicher politischer Umgang mit wissenschaftlichen Diskussionen.

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