Lobbyismus und Klima

Mehr als „Affenexperimente“: Auftragsstudien, Lobbyismus und der Fall der EUGT

Das „Affen-Experiment“ im Auftrag der Autolobby hat hohe Wellen geschlagen. Der Fall zeigt, mit welch fragwürdigen Methoden die Autoindustrie versuchte, ihre Diesel-Greenwashing-Kampagne voranzutreiben. Eine neue Bundesregierung muss nun beim Thema Lobbyismus umdenken.
von 31. Januar 2018

Dunkle Wolken über VW: US-Forscher setzten im Auftrag der deutschen Autolobby in einem viel kritisierten Experiment zehn Affen den Abgasen eines Käfers aus.

Bei der aktuellen Berichterstattung über die autoindustriefinanzierte „Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor“ (EUGT) geht es um mehr als Experimente mit Affen: Nach der Aufregung über betrügerische Abgastests zeigen die neuen Erkenntnisse erneut, zu welch fragwürdigen Methoden die Autolobby greift, um ihre Diesel-Greenwashing-Kampagne voranzutreiben. Eine neue Bundesregierung muss nun beim Thema Lobbyismus umdenken. Wir brauchen mehr Transparenz, bessere Regeln und endlich ein verbindliches Lobbyregister.

Ein Lobbyverein und fragwürdige Versuche

Unter der Überschrift „Zehn Affen und ein Beetle“ hatte die New York Times am Freitag darüber berichtet, dass der von VW, Daimler und BMW gegründete und finanzierte Lobbyverein EUGT im Jahr 2014 einen skurrilen Test in Auftrag gegeben hatte: US-Forscher sperrten zehn Javaner-Affen in einen Käfig und ließen sie stundenlang Dieselabgase eines VW-Beetles einatmen. Am Montag berichtete die Stuttgarter Zeitung, dass es 2013 an der Universität Aachen zudem eine Studie gegeben hatte, bei der 25 freiwillige Probanden geringe Mengen Stickoxid inhalierten.

Die Aufregung in Politik und Öffentlichkeit war groß. „Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. VW-Chef Müller nannte den Affenversuch „unethisch und abstoßend“. Als erste Reaktion hat VW gestern seinen Cheflobbyisten, den ehemaligen Sprecher der Bundesregierung, Thomas Steg, beurlaubt.

Es geht um mehr als Affenexperimente

Die Aufregung über die beiden Experimente lässt einen wichtigen Fakt in den Hintergrund rücken: Außer den Affen und 25 Freiwilligen mussten vor allem Millionen Menschen unfreiwillig schädliche Dieselabgase einatmen, weil die Autokonzerne mit ihren Abschalteinrichtungen betrogen hatten. Forscher gehen davon aus, dass allein in Europa rund 5000 Menschen pro Jahr wegen der Abgasmanipulationen frühzeitig sterben. Und erst gestern forderte die Europäische Kommission die Bundesregierung erneut auf, endlich gegen die Luftverschmutzung in den Städten aktiv zu werden.

Dennoch ist die Empörung über das „Affenexperiment“ gerechtfertigt, nicht nur wegen der unethischen Methoden. Es handelt sich hier auch um einen Betrug an den Wissenschaftlern, weil das Experiment mit einer betrügerischen Abschalteinrichtung durchgeführt wurde. Die Forschungsergebnisse wurden damit vorsetzlich manipuliert. Auch nach Bekanntwerden des Dieselskandals waren die durchführenden Forscher in den USA nicht darüber informiert. Zudem sollte das Affen-Experiment weniger der Wissenschaft dienen, sondern vor allem den Profitinteressen der Konzerne. Am Ende wollte VW das Ergebnis auch nicht mehr veröffentlichen, weil damit nicht bewiesen werden konnte, dass das getestete Fahrzeug sauberer geworden war.

Der Fall in Aachen, bei dem im Jahr 2013 25 Versuchpersonen Stickoxiden ausgesetzt wurden, unterscheidet sich vom US-Experiment. Hierbei handelt es sich nicht um Auftragsforschung, sondern nur um ein vom EUGT gefördertes Projekt. Auch ging es hier nicht direkt um Dieselabgase, sondern allein um Stickoxide. Die Forscher der RWTH Aachen, von der TU München und der LMU München wollten nach eigenen Angaben die Folgen des Stickstoffdioxid auf den menschlichen Organismus untersuchen, weil der Stickstoffdioxid-Grenzwert für Arbeitsplätze 2010 verschärft worden war.

Da aber auch der Diesel zu dieser Zeit bereits wegen der gesundheitlichen Folgen von Stickoxidemissionen in der Kritik stand, besteht zumindest der Verdacht, dass auch mit dieser Studie eigentlich das Ziel verfolgt wurde, den Diesel reinzuwaschen. Informationen des Rechercheverbunds Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR unterstützen diese These: 2012 hatte die Weltgesundheitsorganisation, WHO, Dieselabgase als krebserregend eingestuft. Vor einer weiteren Untersuchung soll die EUGT versucht haben, die WHO von diesem Vorhaben abzubringen.

Kaiserwetter für den Diesel

Tief blicken lässt auch die Entstehungsgeschichte der EUTG. Die Autokonzerne hatten die Agentur „Kaiserwetter“ damit beauftragt, den Lobbyverein aufzuziehen. Die Agentur ist nicht nur eine klassische Werbeagentur, die etwa Web- und Grafikdesign anbietet. Sie führt für ihre Kunden auch Kampagnen durch. Ihr erklärtes Ziel: „Wir machen gutes Wetter für ihre Kunden.“ Im Fall ihres Projekts EUGT hieß das offenbar Schönwetterpolitik für den Diesel. „Imagekampagnen“ nennt sich so etwas in der Welt der Lobbyagenturen oder auch „Krisenkommunikation“ bei den schwierigeren Fällen. Die Agentur steht offenbar auch nach Bekanntwerden des Affenexperiment zu ihrem Produkt EUGT und gibt es auf ihrer Webseite weiterhin als Referenzprojekt an.

Agenturen werden immer wieder von großen Wirtschaftsverbänden oder Unternehmen damit beauftragt, Lobbyarbeit zu machen. Häufig sind die eigentlichen Auftraggeber solcher Projekte dadurch nicht mehr zu erkennen. Im Fall EUGT war zumindest klar zu erkennen, dass Vertreter der Autoindustrie an der Vereinigung beteiligt waren. Dass die Autoindustrie den Verein jedoch selbst ins Leben gerufen hatte, wie es nun scheint, blieb dagegen im Dunkeln. Hier könnte ein Lobbyregister weiterhelfen: Agenturen mit Lobbyaufträgen müssten darin ihr Auftraggeber mit samt Budget verzeichnen.

Industrienahe Forschung und Wissenschaftslobbyismus

Forschungsergebnisse zu kaufen, bewusst zu manipulieren oder umzudeuten, um die eigenen Lobby- und Vermarktungsstrategien voranzubringen, ist keine neue Lobbystrategie. Die Tabakindustrie förderte schon in den 1960er Jahren Wissenschaftler, die als Kronzeugen dienten, um die gesundheitlichen Schäden des Rauchens schönzureden. In Deutschland hatte der „Forschungsrat Rauchen und Gesundheit“, der sich heute Stiftung Verhalten und Umwelt nennt, eine ähnliche Funktion wie die EUGT. Andere Beispiele für gekaufte Wissenschaft sind verschiedene Tarnorganisationen der Zuckerindustrie.

Die Palette von wirtschaftsnaher- und geförderter Wissenschaft ist groß. Auch andere Lobbyorganisationen oder Unternehmen unterhalten ihre eigenen Forschungseinrichtungen oder fördern solche. Dazu zählen etwa das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) der Deutschen Post oder das von der Ernährungsmittelindustrie gegründete International Life Science Institute (ILSI).

Problematisch wird solche Wissenschaft mit Wirtschaftsnähe vor allem dann, wenn die vermeintlich neutralen Forschungsergebnisse in erster Linie wirtschaftliche und politische Interessen befördern sollen. Allein schon der Anschein, dass Forschungsergebnisse interessengeleitet sind, kann dem Ansehen einer unabhängigen Wissenschaft schaden.

Für die Leserschaft der Studien aus solchen Forschungseinrichtungen, aber auch für Auftragnehmer in Universitäten, ist hier Transparenz nötig. Aber auch genaues Hinschauen ist geboten. Die politisch gewollte Zunahme von Drittmittelfinanzierung an Universitäten, Stiftungsprofessuren, Lobbyisten in Hochschulräten oder Unternehmens-Kooperationen bieten Einfallstore für interessengeleitete Forschung.

Der Fall Greim

Eine Personalie tauchte in den vergangenen Tagen immer wieder auf: Professor Helmut Greim, der Vorsitzende vom Forschungsbeirat der umstrittenden EUGT. Greim war uns schon in der Vergangenheit mehrfach als Wissenschaftler mit auffällig industrienahen Positionen aufgefallen – und zwar besonders, wenn es um die Abwiegelung von Gesundheitsschäden bestimmter Industrieprodukte ging. Zum Beispiel Glyphosat: Hier stand Greim bereits in der Kritik, weil er einen Artikel gemeinsam mit einem Forscher des Herstellers Monsanto publizierte.

Brisant dabei: Greim war von der Unionsfraktion als Sachverständiger in den Bundestags-Untersuchungsausschuss zum Abgasskandal berufen worden. Auch in dieser Funktion hat er als vermeintlich unabhängiger Wissenschaftler Dieselabgase als „unbedenklich“ bezeichnet und dabei sogar schon Bezug auf die Affen-Experimente genommen. Seine Einschätzung fand sich schließlich im Abschlussbericht der Regierungsfraktionen wieder.

Hier fragt man sich: Wie konnte ein solcher Wissenschaftler mit einem klaren Interessenkonflikt durch seine Funktion mit der EUGT in ein für die Aufklärungsarbeit in Deutschland solch wichtiges Gremium geraten. Hier ist nun weitere Aufklärungsarbeit nötig. Wir hatten schon zur Veröffentlichung des Abschlussberichts auf die Personalie Greim hingewiesen, ohne damals allerdings mit unseren Recherche in die breite Öffentlichkeit vorzudringen. Gut, dass der Fall in den letzten Tagen bekannter geworden ist und nun aufgearbeitet werden kann!

Und nun? Aufklärung und endlich ein Lobbyregister

In den nächsten Tagen werden sich die Wogen rund um die Affenexperimente und die EUGT vermutlich etwas glätten. Mit Thomas Steg hat VW einen wichtigen Akteur beurlaubt und damit Verantwortung übernommen. Das ist gut und richtig. Aber auch die Politik ist gefragt: Was wusste die Bundesregierung über die EUGT und deren Methoden zur Legitimierung des Diesels? An welchen Stellen spielen die EUGT-Studien bei politischen Entscheidungen eine Rolle? Hier sind noch einige Fragen offen.

Und viel wichtiger noch: Der aktuelle Fall wirft nicht nur ein Schlaglicht auf die fragwürdigen Methoden der Autoindustrie. Auch die deutsche Politik, insbesondere die – nun geschäftsführende – Bundesregierung muss sich die Frage gefallen lassen, warum sie die fragwürdigen Methoden der Autoindustrie nicht früher erkannte und verhindern konnte. Die Manipulationen bei den Abgastests sind schon länger bekannt – die Aufklärungsarbeit wurde aber offenbar nicht mit aller Kraft vorangetrieben.

Zudem müssen die engen Beziehungen zwischen Bundesregierung und Autoindustrie neu ausgeleuchtet und korrigiert werden. Die deutsche Politik muss es wagen, auf Distanz zur Autolobby zu gehen. Ein erster Schritt wäre die Einführung eines verbindlichen Lobbyregisters.

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