Lobbyismus an Schulen

FDP als Türöffner für Wirtschaftsinteressen an Schulen

Stiftungen und andere außerschulische Akteure zur Schulfinanzierung heranziehen, Laien als Lehrer einsetzen sowie das Fach Wirtschaft einführen: Was im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Regierung als Schulfreiheit verkündet wird, könnte zu einer schwerwiegenden Umwälzung an NRWs Schulen führen.
von 21. September 2017

LobbyControl beobachtet die im Koalitionsvertrag in NRW geäußerten Vorstellungen der Landesregierung im Themenbereich Schule mit Sorge. Wir haben uns deshalb heute in einer Stellungnahme an die NRW-Schulministerin gewandt, um unsere Bedenken mitzuteilen.

Stellungnahme von LobbyControl zur geplanten Schulpolitik in NRW

Stiftungen und andere außerschulische Akteure zur Schulfinanzierung heranziehen, Laien als Lehrer einsetzen sowie das Fach Wirtschaft einführen: Was im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Regierung als Schulfreiheit verkündet wird, könnte zu einer schwerwiegenden Umwälzung an NRWs Schulen führen. Unter dem Druck von LehrerInnenmangel und finanzieller Unterversorgung der Schulen fördert die NRW-Landesregierung gezielt einen verstärkten Einfluss von Unternehmen und privaten Stiftungen in den Schulen in Nordrhein-Westfalen oder nimmt ihn zumindest in Kauf.

Schulfinanzierung – Abhängigkeit von privaten Geldgebern

Einschneidend sind die Ideen zur Schulfinanzierung in Nordrhein-Westfalen. In sozial schwachen Stadtteilen sollen 30 sogenannte Talent-Schulen entstehen, an denen außerschulische Akteure aus dem regionalen Umfeld zum Einsatz kommen, sowie „Mittel von Sozial- und Bildungsstiftungen“ (NRW-Koalitionsvertrag: S. 11) zur Finanzierung herangezogen werden sollen.
Dass öffentliche Schulen durch die Politik gezielt in eine Abhängigkeit von privaten Geldgebern gegeben werden, ist ein absolutes Novum in der deutschen Bildungspolitik und geht über die bisherige Praxis hinaus. Schon heute gehen viele Schulen Kooperationen ein oder greifen auf Sponsoren zurück, um eine bessere Ausstattung zu erreichen. In Hochschulen gab es bereits Aldi-Süd- und easycredit-Hörsäle. Gibt es in Schulen bald den Bayer-Chemieraum oder den Telekom-Computerraum?

Der Grund für diese Offenheit für externe Geldgeber ist die schlechte finanzielle Situation der Schulen, die kaum Spielraum für Anschaffungen lässt. Diesen Trend gilt es rückgängig zu machen, statt zu verstärken. Andernfalls geraten die Schulen so in eine Abhängigkeit von diesen Geldern und damit auch den Spendern – eine echte Gefahr für die Freiheit der Bildung.

Schulfreiheit – Offene Schule für Lobbyisten?

Ebenso Neuland betreten CDU und FDP mit den sogenannten „Praxis-Lehrern“. Vorgesehen ist die Schaffung von „ergänzende(n) Möglichkeiten für den ehrenamtlichen Einsatz oder die temporäre Beschäftigung“ (NRW-Koalitionsvertrag: S.8)  in Schule und Unterricht. Pädagogische Eignung, Sachkenntnisse oder inhaltliche Vorbereitung sind im Koalitionsvertrag nicht definiert. Es steht zu befürchten, dass bei einer nur temporären Beschäftigung die Ausbildung noch kürzer sein wird als bereits heute bei Seiteneinsteigern. Schon die derzeit vermehrten Seiteneinstiege werden aufgrund des sofortigen Einsatzes in der Schule und der daraus resultierenden häufigen Überforderung von den Lehrergewerkschaften und -verbänden stark kritisiert (RP-Online).

Unabhängig von der pädagogischen Qualität des Einsatzes von „Praxis-Lehrern“ würde dadurch zusätzlich ein Tor für den Einfluss von Unternehmen und privaten Stiftungen auf Schulen geschaffen. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk spricht die Schulministerin davon, dass „Praxis-Lehrer“ aus der Privatwirtschaft speziell für das Fach Wirtschaft und die MINT-Fächer angeworben werden sollen, also genau dort, wo Unternehmen besonders starke Eigeninteressen haben. Mögliche Folgen für den Unterricht: Der Unterricht wird einseitig auf die Gewinnung unkritischen Nachwuchses ausgerichtet und ökonomische Zusammenhänge aus überwiegend unternehmerischer Sicht vermittelt. Schon heute führt beispielsweise der Bankenverband Wettbewerbe an Schulen durch, die die ökonomische Sichtweise von Banken prominent in den Schulunterricht transportieren.

Werden also MitarbeiterInnen von Unternehmen zukünftig von Tätigkeiten freigestellt, um „ehrenamtlich“ in der Schule zu arbeiten? Mussten Unternehmen ihre Aktivitäten an Schulen noch als soziales Engagement präsentieren, aufwendige Unterrichtsmaterialien entwerfen oder die Dienstleistungen darauf spezialisierter Agenturen in Anspruch nehmen, um in der Schule tätig zu werden, könnten sie womöglich in Zukunft ihre „Praxis-Lehrer“ direkt ins Klassenzimmer schicken.

Klar ist schon jetzt, der strukturelle LehrerInnenmangel ist auf diesem Weg nicht zu lösen. Es ist eine gefährliche Schein-Lösung, die SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern daran gewöhnen könnte, dass nicht nur LehrerInnen in der Schule unterrichten. Hier wird mit der sinnvollen Praxis gebrochen, dass nur professionell ausgebildete LehrerInnen Unterricht gestalten, die nur der Bildung verpflichtet sind und nicht den möglichen Interessen Dritter.

Fach Wirtschaft – Ökonomische Bildung isoliert und einseitig?

Die ökonomische Bildung hat in deutschen Schulen eine lange Tradition in den Fächern Sozialwissenschaften und Gesellschaftswissenschaften. Als Teil dieser Fächer werden die Verbindungen zwischen politischer und ökonomischer Bildung deutlich. In den letzten Jahren wird von einigen Akteuren verstärkt über ein eigenständiges Fach Wirtschaft diskutiert. In Baden-Württemberg hat die Initiative „Wirtschaft verstehen lernen“ der Dieter-von-Holtzbrinck-Stiftung, die von hochrangigen Unternehmensvertretern aus Baden-Württemberg unterstützt wurde, über Jahre das Fach Wirtschaft propagiert.

CDU und FDP wollen nun laut Koalitionsvertrag in NRW „an allen weiterführenden Schulen das Schulfach Wirtschaft“ einführen. Es droht damit eine Verengung der ökonomischen Bildung auf Unternehmensinteressen, wenn die Verbindung mit wichtigen politischen Themen nicht mehr stattfindet. Mit Blick auf das neue Fach „Wirtschaft“ in Baden-Württemberg sagte Moritz Peter Haarmann, Geschäftsführer der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung (DVPB): „Im Mittelpunkt steht fast ausschließlich Wissen zu Unternehmensgründungen und eigenem unternehmerischem Handeln.“ (SpOn)
Völlig unklar bleibt zudem, wie der Bedarf an LehrerInnen für das Fach Wirtschaft zu decken sein soll, denn bisher werden keine LehrerInnen für das Fach Wirtschaft an nordrhein-westfälischen Hochschulen ausgebildet. Sollten die „Praxis-Lehrer“ diese Aufgabe übernehmen, werden die Befürchtungen wahr, dass Unternehmensinteressen im Fokus des neuen Fachs Wirtschaft stehen werden. Denn für eine umfassende ökonomische Bildung sind „Praxis-Lehrer“ mit Sicherheit nicht ausgebildet.

Eindämmung statt Ausweitung des Einflusses von außen

Kinder und Jugendliche sind besonders anfällig für Werbung und einseitige Einflussnahmen. Sie bedürfen daher eines besonderen Schutzes. LobbyControl fordert deshalb einen wachsamen und kritischen Umgang mit Aktivitäten und Einbindung externer Akteure an Schulen. Werbung, Lobbyismus und Meinungsmache haben im Klassenzimmer nichts zu suchen.

In den letzten Jahren wurden von Bildungsministerien immer wieder Schulkooperationen, Sponsorings und Wettbewerbe aufgrund des geltenden Werbeverbots an Schulen verboten. In Nordrhein-Westfalen betraf dies unter anderem den Amazon-Schreibwettbewerb „Amazon Storyteller Kids“. Allerdings kam es zumeist erst dann zu einem Verbot, wenn öffentlich darüber diskutiert wurde. LobbyControl fordert deshalb eine kritische Prüfung von Kooperationen, Sponsorings und Wettbewerben, schon bevor diese geschlossen werden oder daran teilgenommen wird. Das Schulministerium sollte eine Stelle einrichten, an die Schulen sich zu diesem Zwecke wenden. Grundlage muss ein umfassendes, striktes Werbeverbot sein, das für Schulen Klarheit schafft, was erlaubt ist und was nicht.

Damit dies nicht zu einer Einschränkung an Schulen führt, muss eine ausreichende Finanzierung der Schulen aus öffentlicher Hand sichergestellt sein. Die Ausstattung von Schulen darf nicht davon abhängen, ob sich private Akteure finden, die sie finanzieren und die dafür gegebenenfalls auch eine Gegenleistung erwarten. Statt darauf zu setzen, dass die Privatwirtschaft Bildung bezahlt, wo es ihr zupass kommt, müssen Schulen genug Geld für Materialien und Ausstattung bekommen, so dass sie sich nicht in Abhängigkeiten von Unternehmen oder privaten Stiftungen begeben müssen.
LobbyControl wird die Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen weiter verfolgen und daran arbeiten den Unternehmenseinfluss an Schulen zurückzudrängen.

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