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Nationaler Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte: Ein Lehrstück in Sachen Lobbyismus [Update]

Unternehmensvertreter mit exklusivem Zugang zu Regierungsinterna, ein Beamter auf der Payroll von Siemens und ein Wirtschaftsverband mit besten Verbindungen ins Finanzministerium: Wie die Wirtschaft den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte verwässerte.
von 21. Dezember 2016

Kurz vor Jahresende bekommt Deutschland doch noch einen Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte. Diesen hatte das Bundesfinanzministerium im Sommer überraschend gestoppt – möglicherweise auf Druck der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA). Der BDA hat sich stets gegen Verpflichtungen für Unternehmen ausgesprochen und mit Steffen Kampeter einen neuen Hauptgeschäftsführer, der vor nicht allzu langer Zeit noch parlamentarischer Staatssekretär im besagten Ministerium war.

Der lange nur bei Expert/innen bekannte Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) hatte es schon im Herbst bis in die Heute Show geschafft. Dort wurde über Seitenwechsler aus der Politik in die Wirtschaft berichtet – so auch über Steffen Kampeter, seit Juli 2016 Hauptgeschäftsführer des BDA, bis Sommer 2015 aber noch Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium (BMF). Das Ministerium legte kurz vor der parlamentarischen Sommerpause ein Veto gegen den Entwurf des NAP ein. Die umfangreiche Intervention des BMF, das bis zu diesem Zeitpunkt unverdächtig war, Interesse an Menschenrechtsfragen zu haben, wirft Fragen auf. Fragen nach möglicher Einflussnahme auf das Ministerium, nach der Rolle Kampeters und des BDA. Fragen, die nicht abschließend beantwortet werden können, die aber deutlich machen, warum mehr Transparenz und eine stärkere Lobbyregulierung im Berliner Lobbydschungel notwendig sind.

Update November 2019: Eine neue Recherche von Misereor, Global Policy und Brot für die Welt zeigt, wie Arbeitgeberverbände die Menschenrechts-Anforderungen an Unternehmen schwächen. Die Kurzfassung der Recherche gibt es in der Pressemitteilung von Misereor.

Worum geht es beim Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte?

ILO/Alan Dow - CC-BY-NC 4.0
Näherin in einer Textilfabrik. Foto: ILO/Alan Dow, CC BY-NC-ND 2.0

Seit Jahren wird auf internationalem wie nationalem Parkett über die Frage gestritten, in welchem Maße Unternehmen eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht haben, d.h. in wie weit sie bei ihrem Handeln im Ausland Menschenrechte achten müssen und sie in die Verantwortung genommen werden können, wenn ihre Geschäftstätigkeit im Ausland zu Menschenrechtsverletzungen führt. Die Verabschiedung der Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte durch die Vereinten Nationen war ein erster Durchbruch. Die Bundesregierung hat sich im vergangenen Jahr in der G7-Abschlusserklärung mit deutlichen Worten zu den VN-Leitprinzipien bekannt: „Wir unterstützen nachdrücklich die VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und begrüßen die Bestrebungen zur Erstellung substanzieller Nationaler Aktionspläne. In Übereinstimmung mit den VN-Leitprinzipien rufen wir die Privatwirtschaft dringend auf, ihrer Sorgfaltspflicht auf dem Gebiet der Menschenrechte nachzukommen“. Diese Leitprinzipien sollen durch einen Nationalen Aktionsplan umgesetzt werden.

Nach einem langen und aufwendigen Prozess lag im Frühsommer ein Entwurf vor, den das Finanzministerium dann stoppte. Das Ministerium hatte umfangreiche Streichungen verlangt. Nun wurde der Aktionsplan nach monatelangem Warten und Ringen heute doch noch vom Kabinett beschlossen. Erarbeitet wurde der Plan in einem sogenannten Multi-Stakeholder-Prozess: Neben verschiedenen Ministerien wurden Industrie, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen an einen Tisch versammelt: sowohl Vertreter von BDI, BDA und DIHK als auch Vertreterinnen des Forum Menschenrechte, von VENRO e.V. und des DGB wurden beteiligt. Das Deutsche Institut für Menschenrechte und econsense, so nennt sich das Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft, wurden beratend hinzugezogen. Es handelte sich bei dem Entwurf aus dem Frühjahr schon um einen Kompromiss. Doch selbst dieser schwache Entwurf ging dem Finanzministerium und der Wirtschaft offenbar zu weit.

Ein Mann von Siemens im Auswärtigen Amt – kein Interessenskonflikt?

Koordiniert wurde die Erarbeitung des NAP vom Auswärtigen Amt, das die Akteure wiederholt zu Treffen ins Ministerium einlud. Julia Duchrow vom Forum Menschenrechte war überrascht, als sich zwischenzeitlich herausstellte, dass ein Mitarbeitender der koordinierenden Stabsstelle im Auswärtigen Amt von seinem Arbeitgeber Siemens dorthin ausgeliehen worden war. Tatsächlich findet sich im später veröffentlichten 14. Bericht des Bundesministeriums des Innern über den Einsatz externer Personen in der Bundesverwaltung ein Hinweis auf diesen Siemens-Mann. Zwölf Monate war er in der Abteilung 4 (Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung) des Auswärtigen Amtes eingesetzt, um – weiterhin bezahlt von Siemens - bei der Gestaltung des Konsultationsprozesses zur Erarbeitung des NAP beratend tätig zu sein.

Ein Mitarbeiter von Siemens war somit zeitweise an einem Prozess beteiligt, der die Frage nach der Verantwortung von Unternehmen für die Einhaltung von Menschenrechten im Ausland zum Gegenstand hat. Nach den seit 2008 geltenden Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Einsatz von externen Personen in der Bundesverwaltung hat eine Risikoabschätzung im Hinblick auf mögliche Interessenkollisionen zu erfolgen, um zu klären, ob ein Einsatz einer externen Person vertretbar ist. Der Freitag berichtete, dass das Auswärtige Amt in diesem Fall keine Probleme erkennen mochte. Das ist nicht nachvollziehbar, denn Siemens, international tätig, wäre unmittelbar von den Regelungen im NAP betroffen und ist zudem Mitglied bei econsense. Ein Interessenskonflikt liegt auf der Hand.

Der Fall zeigt: Regeln für externe Mitarbeiter reichen nicht aus

Hinzu kommt, dass Vertreter/innen der Nichtregierungsorganisationen, die im Kontakt mit dem Auswärtigen Amt standen, ihren Aussagen zufolge lange nicht gewusst haben, dass sie es mit einem externen Mitarbeiter, zumal einem Siemens-Mann, zu tun hatten. Das widerspricht den Verwaltungsvorschriften. Dieser Vorgang offenbart daher einen erschreckenden Unwillen des Auswärtigen Amtes, die Verwaltungsvorschriften und die berechtigten Bedenken hinsichtlich des Einsatzes von Unternehmensvertretern in Ministerien ernst zu nehmen.

Die Verwaltungsvorschriften sind offensichtlich nicht geeignet, um den Einsatz externer Mitarbeiter in Ministerien so zu gestalten, dass Interessenskonflikte vermieden werden. Durch den Einblick in interne Abläufe, Kenntnisse vertraulicher Themen und das Knüpfen persönlicher Kontakte entstehen den entsendenden Unternehmen und Verbänden Vorteile, die andere nicht haben. LobbyControl fordert daher seit langem, die Beschäftigung externer Mitarbeiter aus Unternehmen und Lobbyverbänden in Ministerien zu beenden.

Große Nähe zwischen Bundesfinanzministerium und Wirtschaft

Noch mehr Erstaunen rief die Intervention des Bundesfinanzministeriums hervor, die den Aktionsplan im Sommer vorerst zu Fall gebracht hatte. Das BMF war anders als fünf weitere Bundesministerien nicht an der Erarbeitung des NAP beteiligt. Im Zuge der üblichen Ressortabstimmung hatte das BMF dann jedoch im Juni erheblichen Änderungsbedarf angemeldet.

VENRO/Jörg Farys - All rights reserved
NGOs protestieren beim Tag der Deutschen Industrie gegen die Verwässerung des NAP.

Vertreter/innen von Nichtregierungsorganisationen wunderten sich, wie das BMF in sehr kurzer Zeit so umfangreiche Änderungswünsche vorbringen konnte. Sie kritisierten, dass die Vorschläge des BMF den Aktionsplan vollends verwässern würden. Sie nutzen deshalb die Möglichkeiten des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) und baten das BMF um eine Liste aller Treffen von Mitarbeiter/innen des BMF mit Vertreter/innen von Unternehmen und Unternehmensverbänden sowie nach der gesamten Korrespondenz zwischen diesen Akteuren. Das Ministerium hat, anders als das Auswärtige Amt und das Bundeswirtschaftsministerium bei ähnlichen Anfragen, die Herausgabe dieser Informationen verweigert (Die Antwort des BMF vom 3.8.2016 liegt LobbyControl vor). Ein vorzeitiger Zugang zu Informationen aus dem Abstimmungsprozess zum NAP „vor Beendigung der Beratungen zwischen den Bundesressorts würde die Vertraulichkeit der Beratungen verletzen und könnte das Ergebnis der Beratungen vereiteln, da eine unbefangene Meinungsbildung nicht mehr möglich ist. Dies könnte z.B. dadurch der Fall sein, dass Dritte versuchen könnten, unmittelbar Einfluss auf die Entscheidungsfindung nehmen zu können.“

Gegen diesen Bescheid des BMF wurde Widerspruch eingelegt. Auch dieser wurde abgelehnt (Der Widerspruchsbescheid des BMF vom 17.11.2016 liegt LobbyControl vor). Die Begründung lässt tief blicken: Das Ministerium bestätigt darin, jeweils eine bzw. zwei Emails in Sachen NAP von einem Unternehmensverband und einem Unternehmen erhalten zu haben. Eine Einsicht in diese Schreiben könne jedoch nicht erfolgen, weil es inhaltlich dabei „genau um die Punkte des Beratungs- und Entscheidungsvorgangs“ gehe, „der innerhalb der Bundesregierung stattfindet“. Weiter heißt es: „Es werden genau die Beratungsgegenstände genannt, die innerhalb der Ressortabstimmung erörtert werden, die Teil des Meinungsbildungsprozesses sind und diesen abbilden.“ Im Klartext heißt das: Die Wirtschaft war also über die Beratungen zwischen den Ressorts informiert. Für die Unternehmensvertreter ein dankbares Geschenk, denn solche Informationen erleichtern die Einflussnahme. Den zivilgesellschaftlichen Akteuren möchte das BMF diese Informationen jedoch vorenthalten.

Karenzzeitregelung unzureichend

Die Tatsache, dass das Finanzministerium Informationen in Sachen Aktionsplan unter Verschluss hält, wirft Fragen auf - insbesondere zum Einfluss, den der BDA oder andere Akteure aus der Wirtschaft auf das Ministerium gehabt haben könnten. Der BDA hatte sich bereits zu Beginn des Multi-Stakeholder-Prozesses deutlich gegen verbindliche Regeln ausgesprochen und die Streichorgie des BMF dürfte im Sinne des Verbandes gewesen sein. Als das BMF im Juni den Aktionsplan stoppte, war Steffen Kampeter kurz davor, seinen neuen Job als Hauptgeschäftsführer des BDA anzutreten. Seit 2009 war er Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzressort. Er dürfte auch heute noch beste Beziehungen ins Ministerium haben, nachdem er im Juni 2015 dieses Amt niederlegte.

Steffen Kampeter tat dies noch vor Inkrafttreten des Karenzzeitgesetzes, das den nahtlosen Wechsel aus der Regierung in Lobbyjobs zumindest bremsen soll. Dennoch hat er die gesetzlich vorgeschriebene Karenzzeit von in der Regel 12 Monaten eingehalten, denn erst ein Jahr später, zum 1. Juli 2016, wechselte er zum BDA. Er hat im Vorgriff auf das kommende Gesetz damit formal alles richtig gemacht. Es konnten auch bisher keine konkreten Hinweise gefunden werden, ob Steffen Kampeter möglicherweise mit persönlichem Einsatz dafür gesorgt hat, dass das BMF den Aktionsplan im Sommer vorläufig stoppte. Doch schon allein der Verdacht macht deutlich, dass die gesetzlich festgeschriebene Abkühlphase beim Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft erheblich zu kurz ist. LobbyControl hält eine Karenzzeit von drei Jahren und ein Verbot, in Lobbyjobs zu wechseln, für dringend geboten. Nur so kann die Integrität der Regierungsarbeit sichergestellt werden.

Interessenskonflikt des Abgeordneten Kampeter bleibt ohne Folgen

Im Sinne einer Karenzzeit ist es zudem auch nicht, wenn Politiker/innen ihr politisches Amt vor einem Wechsel zur Abkühlung niederlegen, dann aber als Abgeordnete im Bundestag weiter Politik im Sinne ihres zukünftigen Arbeitgebers machen können. Steffen Kampeter blieb Mitglied des Bundestages, nachdem sein geplanter Wechsel zum BDA im Sommer 2015 bekannt wurde. Zu diesem Zeitpunkt wechselte er in einen Ausschuss, dem er zuvor nicht angehörte: Er wurde Mitglied im Bundestagsausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. Mitten in der Legislaturperiode ist das ein ungewöhnlicher Vorgang, zumal der Abgeordnete Heinrich Zertik, der für Kampeter seinen Stuhl im Ausschuss räumte, den Bundestag nicht verlassen hat, sondern seitdem stellvertretendes Mitglied dieses Ausschusses ist. Bedenklich ist dieser Vorgang, weil der Menschenrechtsausschuss sich immer wieder mit dem NAP befasst hatte. Der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe berichtete gegenüber der Sendung Monitor, dass Steffen Kampeter sich stark in diese Debatten eingebracht und dabei klar die Positionen der Wirtschaftsverbände vertreten hätte.

Ein Interessenskonflikt liegt auf der Hand. Doch Steffen Kampeter und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben es dafür an Sensibilität vermissen lassen. Kampeter hätte allen Beratungen im Bundestag, die die Interessen des BDA berühren, fernbleiben müssen. Grundsätzlich gilt, dass die Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages unzureichend sind. Wir brauchen dringend strengere Regeln, um Interessenskonflikte zu vermeiden.

Der Aktionsplan trägt die Handschrift der Wirtschaft

Mit dem vom Auswärtigen Amt initiierten Multi-Stakeholder-Prozess zum NAP sollten die verschiedenen Lobbyakteure eigentlich gleichberechtigt gehört werden. Gerade bei einem so sensiblen Thema wie den Menschenrechten ist das ein löblicher Ansatz. Doch am Ende hatten doch wieder die Unternehmen und ihre Verbände den kürzeren Draht zur Politik und damit einen starken Hebel im Entscheidungsprozess. Das liegt an den unfairen Spielregeln: Die Regelungen zur Vermeidung von Interessenskonflikten und einseitiger Einflussnahme sind weiterhin zu lax. Das muss sich dringend ändern. Ansonsten drohen auch künftige Multi-Stakeholder-Prozesse zum Feigenblatt zu verkommen.

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