Aus der Lobbywelt

Sebastian Turner: ein OB-Kandidat mit Transparenz-Problemen

Der ehemalige PR-Profi Sebastian Turner zieht als parteiloser Kandidat der CDU in den OB-Wahlkampf in Stuttgart. Auch FDP und Freie Wähler unterstützen ihn – jetzt bewirbt sich Turner noch als Kandidat der Stuttgarter Piraten. Zugleich haben CDU, FDP und Freie Wähler einen Unterstützerverein für Turner gegründet, der auch anonyme Wahlkampfspenden ermöglicht. Eine komische Vorstellung: ein […]
von 20. April 2012

Der ehemalige PR-Profi Sebastian Turner zieht als parteiloser Kandidat der CDU in den OB-Wahlkampf in Stuttgart. Auch FDP und Freie Wähler unterstützen ihn – jetzt bewirbt sich Turner noch als Kandidat der Stuttgarter Piraten. Zugleich haben CDU, FDP und Freie Wähler einen Unterstützerverein für Turner gegründet, der auch anonyme Wahlkampfspenden ermöglicht. Eine komische Vorstellung: ein Spindoktor mit Transparenz-Problemen als Piraten-Kandidat.

Spenden jenseits der Rechenschaftspflichten

Am Mittwoch wurde der Verein „Bürger-OB – Sebastian Turner für Stuttgart“ gegründet. Dabei geht es natürlich auch um Spenden und Wahlkampffinanzierung. Anders als Spenden an die Parteien selbst unterliegen Spenden an diesen Verein nicht den Transparenzregeln des Parteiengesetzes. Die taz zitiert in der heutigen Ausgabe den CDU-Kreisvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Stefan Kaufmann mit den Worten „Die ganze Finanzierung [des Vereins] wird nicht offengelegt.“ Auf die Nachfrage, ob auf diese Weise Spender anonym bleiben könnten, habe Kaufmann gesagt: „Das ist eine Möglichkeit mit dem Charme, den der Verein hat.“

Turners Vergangenheit als Spindoktor

Turner gehörte zu den führenden Köpfen hinter der Entwicklung und Umsetzung der Arbeitgeber-Kampagne „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM), bis er 2007 die Agentur Scholz & Friends verließ. Die INSM ist eine Kampagne der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie, um im Interesse der Unternehmen für marktliberale Reformen zu werben. Dabei versucht die INSM aber, möglichst bürgernah aufzutreten und nicht als Arbeitgeber-Kampagne zu wirken. Man findet zwar auf der Webseite die Finanzierung durch die Arbeitgeber, aber in Anzeigen und Öffentlichkeitsaktionen wird der Arbeitgeber-Hintergrund oft nicht genannt. Lange Zeit trat die INSM mit folgendem Slogan auf: „Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ist eine überparteiliche Reformbewegung von Bürgern, Unternehmen und Verbänden für mehr Wettbewerb und Arbeitsplätze in Deutschland“. Diese Selbstbeschreibung war eine klare Irreführung: die INSM ist durch und durch eine Arbeitgeber-Kampagne.

2002 ließ die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft für 58 670 Euro in sieben Folgen der ARD-Serie Marienhof verdeckt ihre Botschaften platzieren. Drei Themen wurden mit Arbeitgeber-Botschaften in die Handlung der Serie hineingeschrieben: Werbung für Zeitarbeit, mehr Wirtschaft in der Schule und die Senkung von Steuern und Abgaben. Als der Skandal 2005 publik wurde, haben wir in einer Analyse gezeigt, dass die Schleichwerbung eng mit anderen INSM-Aktivitäten 2002 verbunden war. Insofern ist aus unserer Sicht davon auszugehen, dass Turner als zentrale Figur bei der Umsetzung der INSM-Aktivitäten durch Scholz & Friends zumindest wusste, was dort lief.

Jetzt könnte man sagen, lange her. Aber für eine Partei, die auf Transparenz setzt und in Nordrhein-Westfalen den Spruch „Für dieses System ist ein Update verfügbar“ plakatiert, wäre Turner mit seiner Spindoctoring-Vergangenheit trotzdem eine fragwürdige Wahl.

Und würden die Piraten dann auch bei dem Verein „Bürger-OB – Sebastian Turner für Stuttgart“ mitmachen? Und mittragen, dass die Finanzierung nicht offen gelegt wird? Oder sich aus dem Verein raushalten nach dem Motto „was wir nicht wissen, macht uns nicht heiß“? Beides aus lobbykritischer Sicht keine wirklich gangbaren Alternativen. Lassen wir uns überraschen, welchen Kandidaten die Piraten am Sonntag bei Ihrer Mitgliederversammlung küren werden.

Aktualisierung 23. April:
Die Stuttgarter Piraten haben mit deutlicher Mehrheit Harald Hermann zum Kandidaten gekürt. Sebastian Turner kam auf Platz zwei (5 von 26 Stimmen). Die Transparenz seines Unterstützervereins war Thema kritischer Fragen. Turner sagte laut Stuttgarter Zeitung zu, Spenden an den zu seiner Unterstützung gegründeten Wahlverein nach den Bestimmungen des Parteiengesetzes offenzulegen. Zur Problematik bei der Umsetzung siehe unsere Diskussion mit Sebastian Turner unten in den Kommentaren. Wir werden das Thema weiter im Auge behalten.

Aktualisierung 28. September
Nach zweifachen Nachfragen hat Sebastian Turner uns offene Fragen zu den Spenden an den Verein Bürger-OB beantwortet: Es soll einen Abgleich der Buchhaltung des Vereins mit den Partei-Buchhaltungen geben. Bislang habe erst eine Spende über 10.000 Euro gegeben, nämlich den Eigenbeitrag von Turner selbst in Höhe von 30.000 Euro. Offen ist, ob das auch schon mit den Buchhaltungen der Parteien abgeglichen ist oder nicht. Außerdem ist noch offen, wann die endgültigen Informationen über die Spenden bekannt gegeben werden.

Zur Schleichwerbung der INSM liess Turner uns mitteilen: „Herr Turner war am Entscheidungsprozess und an der Umsetzung [der Marienhof-Schleichwerbung] nicht beteiligt. Der Auftraggeber [=INSM] hat regelmässig mit einer Reihe von Dienstleistern direkt zusammen gearbeitet ohne dass die anderen Dienstleister eingebunden waren. Als der Sachverhalt bekannt wurde, hat sich Herr Turner intern gegen jede Form von Schleichwerbung ausgesprochen. Eine Fortsetzung oder Wiederholung dieser Art von Massnahme hat es nach seiner Kenntnis nicht gegeben. Er war an keiner beteiligt.“

Weitere Infos:

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