Lobbyismus in der EU

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit: Schutz der Verbraucher oder der Industrie-Interessen?

Nach Recherchen des MDR sowie des unabhängigen Forschungsinstituts Testbiotech gibt es enge Verflechtungen zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und der Lebensmittelindustrie. Immer wieder kommt es zu fragwürdigen Entscheidungen, die die Industrie begünstigen – wie die im Herbst 2010 abgegebene Unbedenklichkeitsbewertung für den gefährlichen Stoff Bisphenol A in Babyflaschen. Die Kommission […]
von 21. Dezember 2010

Nach Recherchen des MDR sowie des unabhängigen Forschungsinstituts Testbiotech gibt es enge Verflechtungen zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und der Lebensmittelindustrie. Immer wieder kommt es zu fragwürdigen Entscheidungen, die die Industrie begünstigen – wie die im Herbst 2010 abgegebene Unbedenklichkeitsbewertung für den gefährlichen Stoff Bisphenol A in Babyflaschen. Die Kommission ist nun zurück gerudert und hat den Stoff zumindest in den Fläschchen trotz anders lautender Empfehlung ihrer eigenen Behörde verboten.

Eigentlich war die EFSA nach zahlreichen Skandalen im Lebensmittelbereich, wie verdorbenes Fleisch in den Kühltheken der Supermärkte, BSE oder gepanschter Wein im Jahr 2002 gegründet worden, um die Verbraucher vor den Machenschaften der Industrie zu schützen. Mit objektiver Beratung wollte man den Bürgerinnen und Bürgern das verloren gegangene Vertrauen in die Lebensmittelsicherheit zurückgeben. Dies ist offensichtlich gründlich misslungen.

Palazzo Ducale, der Sitz der EFSA in Parma, Foto: Pramzan (Wikicommons), Bildlizenz: CC Attribution-ShareAlike 3.0

Palazzo Ducale, der Sitz der EFSA in Parma, Foto: Pramzan (Wikicommons), Bildlizenz: CC Attribution-ShareAlike 3.0

Verflechtungen mit dem International Life Sciences Institute
Besonders ausgeprägt scheinen die Verbindungen der in Parma ansässigen EFSA zum International Life Sciences Institute (ILSI) zu sein. Das ILSI organisiert angeblich unabhängige Studien im Interesse der öffentlichen Gesundheit. Allerdings sind die Mitglieder und Hauptgeldgeber des Instituts die Global Player der Chemie-, Pharma-, Lebensmittel- und Gentechnikbranche. Dies macht eine unabhängige Bewertung unmöglich. Deshalb verbot die Weltgesundheitsorganisation WHO der ILSI auch 2006 aufgrund zahlreicher Vorkommnisse die Teilnahme an Aktivitäten, in denen Standards für Nahrung festgelegt werden.

Anders die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit. Gleich mehrere Fälle zeigten in den vergangenen Monaten auf, wie eng die personellen Verflechtungen zwischen der EFSA und dem ILSI sind. Da wäre zum Beispiel Diána Bánáti, Vorsitzende des Verwaltungsrates der EFSA. Der Verwaltungsrat ernennt die Mitglieder der wissenschaftlichen Gremien der EFSA, die die Empfehlungen an die EFSA und die Europäische Kommission erarbeiten. Hier platzierte industrienahe Wissenschaftler können maßgeblichen Einfluss auf spätere Entscheidungen ausüben. Eigentlich ist es die Aufgabe des Verwaltungsrats, dafür zu sorgen, dass die Behörde unabhängig bleibt. Wie sich allerdings im September 2010 herausstellte, war Frau Bánáti gleichzeitig Mitglied des Vorstandes beim ILSI, was sie jedoch in ihrer Selbstauskunft bei der europäischen Behörde im März 2010 verschwiegen hatte. Erst auf Drängen von José Bové, Europaabgeordneter der französischen Grünen, trat sie nach Bekanntwerden dieser Personalie beim ILSI zurück, durfte aber ihren Job bei der EFSA ohne Konsequenzen behalten.

Der Fall Bisphenol A
In den Zuständigkeitsbereich der EFSA fällt auch das Erarbeiten eines Grenzwertes für Bisphenol A (BPA). BPA ist eine der weltweit meistproduzierten Chemikalien. Sie befindet sich ebenso in Babyschnullern und -flaschen wie auch in Plastikschüsseln oder Getränkedosen. Die Substanz steht im Verdacht, gerade bei Säuglingen und Kleinkindern Krankheiten auszulösen und das Nervensystem zu schädigen. In einigen Ländern – Frankreich, Dänemark, Kanada, USA – sind zahlreiche BPA-haltige Produkte verboten. Vor kurzem beschloss die EFSA, dass der Grenzwert für BPA in der EU nicht gesenkt werden muss, obwohl zahlreiche Studien die Gefährlichkeit der Substanz beweisen. Dies erscheint nun in einem neuen Licht, wo bekannt wurde, dass die ILSI über weit reichende Kontakte in die EFSA verfügt. Schließlich finanziert sich das Institut zu 68 Prozent durch Gelder der Industrie. Zu den Geldgebern gehören Unternehmen wie Bayer und Dow Chemical, die zu den größten Produzenten von Bisphenol A gehören. Als Frau Bánáti ihren Posten im ILSI-Vorstand aufgab, war die Entscheidung über Bisphenol bereits gefallen

Im konkreten Fall der Grenzwertfestlegung von Bisphenol A wurden mehrere hundert Studien untersucht. Viele davon zeigen signifikante Auswirkungen von BPA auf das Nervensystem. Die EFSA beruft sich stattdessen hauptsächlich auf eine der wenigen Studien, die die höheren Grenzwerte als sicher bestätigt. Diese Studie genügt jedoch nicht wissenschaftlichen Standards und wurde vom American Chemistry Council, einer Lobbyorganisation der amerikanischen Plastikindustrie, ausgestaltet und finanziert.

Doch nicht nur Bánáti hat bei der Behörde Verbindungen zur Industrie. Im Referat der EFSA, das für BPA zuständig ist (CEF), sitzen einige industrienahe Wissenschaftler wie zum Beispiel Laurence Castle. Der Brite sitzt bei ILSI in gleich drei verschiedenen Expertengruppen und arbeitet unter anderem für ein Labor, das BPA-Tests durchführt. Die Liste der Verstrickungen von EFSA-Mitgliedern lässt sich mit Tätigkeiten für Lobbyorganisationen wie Greenfacts oder dem European? Food Information Council (EUFIC) fortführen.

Nach der Entscheidung der EFSA, die Grenzwerte nicht zu senken, entschlossen sich einige EU-Länder, den Stoff im Alleingang aus Babyflaschen zu verbannen. Deutschland hingegen akzeptierte die Vorgabe der Lebensmittelbehörde. Nachdem sich verschiedene Länderbehörden und Wissenschaftler befremdet über das Urteil der EFSA und ihre Tests gezeigt hatten, ruderte Verbraucherkommissar John Dalli schließlich zurück. Zumindest in Babyflaschen darf der Stoff ab Juni 2011 in der EU nicht mehr verkauft werden, hat die EU-Kommission letztlich entschieden. Damit hat sie sich gegen die Empfehlung ihrer eigenen Lebensmittelbehörde gestellt. Das sollte sie nachdenklich stimmen bezüglich den Entscheidungen und Verfahren der EFSA.

Einfluss der Gentechnik-Unternehmen
Auch in der EFSA-Expertengruppe, die für die Prüfung der Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen zuständig ist, gibt es derartige Verbindungen zum ILSI: Der Leiter der Expertengruppe, die für die Prüfung der Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen zuständig ist, Harry Kuiper und ein weiterer Experte, Gijs Kleter, arbeiteten seit Jahren mit einer Arbeitsgruppe des ILSI zusammen. Diese Arbeitsgruppe wird von einem Mitarbeiter der Firma Monsanto geführt und ist ausschließlich mit Vertretern der Agrar-Biotech-Konzerne besetzt. ILSI selbst gibt an, dass diese Arbeitsgruppe die Prüfstandards der EFSA für die Risikoabschätzung gentechnisch veränderter Pflanzen beeinflusst hat.

Interessenkonflikte weist die EFSA übrigens von sich, indem sie die oben genannten Organisationen und sogar den Verband der Chemischen Industrie (VCI), der sich selbst ins Lobbyregister der EU eingetragen hat, einfach nicht als Lobbygruppen einstuft.

Die EFSA muss neu organisiert werden
Die EU-Kommission kann nicht länger tatenlos zusehen, wie die Lebensmittelindustrie in ihrer eigenen Behörde maßgeblichen Einfluss auf die Bewertung der Lebensmittelsicherheit in Europa nehmen kann. Sie muss die EFSA neu organisieren und die Verflechtungen zwischen Lebensmittellobbyisten und Wissenschaftlern auflösen. Im neuen Jahr werden wir gemeinsam mit unserem europäischen Netzwerk ALTER-EU einen offenen Brief an die EU-Kommission verfassen, indem wir Vorschläge machen, wie das zu bewerkstelligen ist.

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