Lobbyismus und Klima

Neustart für den Umgang mit der Autolobby

Immer wieder haben wir gegen die einseitigen Autolobby-Gipfel im Kanzleramt protestiert – nun stehen diese exklusiven Runden vor dem Aus. Das ist gut, doch das reicht noch nicht. In einem Offenen Brief an die neue Bundesregierung fordern wir gemeinsam mit abgeordnetenwatch, Mehr Demokratie und Transparency wir einen Neustart im Umgang mit der Autolobby.
von 10. Dezember 2021

Immer wieder haben wir gegen die einseitigen Autolobby-Gipfel im Kanzleramt protestiert. Laut Koalitionsvertrag stehen diese exklusiven Runden nun vor dem Aus. Das ist eine sehr gute Nachricht zum Start der Ampelregierung und ein Erfolg für unsere hartnäckige Arbeit. Doch bei aller Freude sind wir auch besorgt, dass die allzu engen Verbindungen zwischen Autoindustrie und Politik bestehen bleiben. Deswegen wenden wir uns gleich zu Beginn der Ampel-Regierung mit geballter Bündnis-Kraft an die neu gewählte Regierung: Wir haben einen Offenen Brief an den neuen Bundeskanzler Scholz und die zuständigen Minister Habeck und Wissing verfasst – und abgeordnetenwatch.de, Mehr Demokratie und Transparency Deutschland als Mitzeichner gewonnen. Gemeinsam fordern wir einen Neustart im Umgang mit der Autolobby und drängen auf ausgewogene, breite und transparente Beteiligung in der Verkehrs- und Wirtschaftspolitik.

Protest vor dem Autogipfel gegen die einseitige Besetzung
Christian Mang/LobbyControl - CC-BY-NC-ND 4.0
Lobbycontrol Aktivistinnen beim Autogipfel im September 2020.
© Christian Mang

Hier finden Sie den Offenen Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz, sehr geehrter Herr Bundeswirtschaftsminister Habeck, sehr geehrter Herr Bundesverkehrsminister Wissing,

erfreut haben wir im Koalitionsvertrag gelesen, dass die zukünftige Bundesregierung den Autogipfel und die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität durch eine gemeinsame Strategieplattform „Transformation der Autoindustrie“ ersetzen will. Dabei möchte sie künftig auch Umwelt- und Verbraucherverbände sowie die Wissenschaft mit einbeziehen. Immer wieder haben wir diese Treffen als einseitig kritisiert. Deswegen halten wir die Neuaufstellung der Beratungsformate für einen richtigen und wichtigen Schritt.

Dennoch sind wir besorgt, dass die neue Bundesregierung der Autoindustrie weiterhin privilegierte Zugänge gewährt. Die Automobilwirtschaft steht vor großen Herausforderungen – deswegen ist der Dialog mit Branchenvertreter:innen selbstverständlich wichtig. Doch in der Vergangenheit hat sich die Bundesregierung häufig einseitig von der Autoindustrie beraten lassen und anderen gesellschaftlichen Gruppen wie etwa Umweltverbänden weniger Gehör geschenkt. Das hat unserer Wahrnehmung nach die notwendige Transformation der Branche verhindert – etwa indem Lobbyist:innen der Automobilbranche sich dafür eingesetzt haben, klimaschädliche Geschäftsmodelle möglichst lange zu erhalten (Stichwort Abgasgrenzwerte).

Viele Bürgerinnen und Bürger haben die enge Zusammenarbeit zwischen Politik und Autoindustrie durchaus zu Recht als „Klüngelei mit der Autolobby“ wahrgenommen. Insbesondere die Autogipfel, aber auch die einseitigen Lobbytreffen von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer – 80 Treffen mit der Autolobby und lediglich eines mit Umweltverbänden in seiner gesamten Amtszeit – haben zu viel Empörung und Frust geführt. Lobbytreffen werden bislang nicht systematisch offengelegt, sodass die Öffentlichkeit häufig nur zufällig durch Presserecherchen oder Anfragen aus dem Parlament erfährt, mit welchen Unternehmen und Verbänden sich Regierungsmitglieder treffen.Das hat dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der Politik massiv geschadet.

Damit eine echte Transformation der Autoindustrie und der gesamten Mobilität in Richtung Zukunftsfähigkeit und Klimaneutralität gelingen kann, braucht es eine breite und ausgewogene Beteiligung. Die angekündigte Strategieplattform kann dabei eine gute Rolle spielen, wenn sie personell und thematisch ausgewogen aufgestellt ist.

Konkret fordern wir Sie auf:

  • Beenden Sie privilegierte Zugänge für die Autoindustrie! Die neue Strategieplattform „Transformation der Automobilindustrie“ darf weder personell noch thematisch einseitig den Interessen der Automobilwirtschaft entsprechen. Andere Interessengruppen müssen ausreichend vertreten sein und dürfen keine Feigenblattfunktion übernehmen.
  • Legen Sie Ihre Kontakte mit Interessenvertreter:innen offen und unterstützen Sie gesetzliche Regelungen zur Offenlegung von Lobbytreffen!
  • Sorgen Sie für ausgewogene Kontakte und Einbindung von Interessen in Ihren Ministerien und untergeordneten Behörden! Binden Sie verkehrspolitische Akteure, die nicht über finanzstarke Lobbybüros in Berlin verfügen, aber dennoch wichtige gesellschaftliche Anliegen und Expertise einbringen, proaktiv ein. Die Klimakrise, aber auch Verbraucherschutz, Gesundheitsschutz, Naturschutz, Lebensqualität in den Städten und auf dem Land, Barrierefreiheit sowie zukunftsfeste Arbeits- und Ausbildungsplätze sind wichtige Themen, die eine gemeinwohlorientierte Verkehrspolitik mit kohärenten Lösungsansätzen erfordern.
  • Schaffen Sie breite und innovative Beteiligungsformate! Um verkehrspolitische Herausforderungen und Konflikte angemessen zu bearbeiten und Akzeptanz für eine umfassende Transformation der Autoindustrie und des Verkehrssektors zu schaffen, braucht es umfassende Mitsprache. Wir begrüßen daher, dass sie neue Formen des Dialogs in den Koalitionsvertrag aufgenommen haben. Innovative Formate wie Bürgerräte oder regionale Transformationsräte sind gute Ansatzpunkte und haben sich an vielen Stellen bereits bewährt.

Schaffen Sie einen echten Neuanfang in der Verkehrs- und Wirtschaftspolitik mit breiter und ausgewogener Beteiligung! Wir freuen uns über eine Antwort und würden uns gerne mit Ihnen zu diesen Themen austauschen.

Mit ausgezeichneter Hochachtung,
Christina Deckwirth, LobbyControl für die mitzeichnenden Organsiationen abgeordnetenwatch.de, Mehr Demokratie und Transparency Deutschland

Weitere Informationen:

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